Theater ist live! Der Reiz: „Das Publikum geht ein emotionales Risiko ein“, sagt Christian Zell, Schauspieler am Westfälischen Landestheater (WLT). Denn Emotionen träfen die Zuschauer unmittelbar. Pause und Vorspulen unmöglich.
Die Besucher könnten sie nicht dosieren. Sie müssten sich einlassen. Und das „macht den Unterschied“, findet auch Sabrina Klose, die seit 15 Jahren Dramaturgin der Sparte Kinder- und Jugendtheater am WLT in Castrop-Rauxel ist und viel mit Christian Zell zusammenarbeitet. „Aber die Menschen wagen immer weniger, wollen mehr Unterhaltung, weniger Tiefgang. Teilweise verstehe ich das. Dann ist man gefühlsmäßig weniger involviert, aber dafür auf der sicheren Seite.“
Kinder erleben alles mit
Christian Zell und Sabrina Klose sind oft dabei, wenn Kinder oder Jugendliche zum allerersten Mal ein Theaterstück ansehen. Dieses besondere Live-Erlebnis beeindrucke und irritiere die jungen Besucher gleichermaßen: „Manche kennen Menschen in Kostümen nicht, können nicht einordnen, wer jetzt gerade vor ihnen steht – etwa ein Tier oder ein Mensch. Wenn bei „Frankensteins Monster“ das Monster ins Publikum springt, erschrecken sie sich fürchterlich. Und sie weinen, wenn’s dramatisch wird oder sie Angst um die Hauptfigur haben“, sagt Sabrina Klose. Den kleineren Zuschauern sagen sie manchmal vor der Vorstellung, dass sie sich gerne die Augen zuhalten dürften, wenn sie sich fürchten, und dass sie weinen dürften, wenn ihnen zum Heulen sei. „Die Kinder verstehen das“, sagt Christian Zell. „Doch manchmal beschweren sich die Eltern, wenn ihr Kind weinen musste.“
Auf die Frage, ob er schonmal Mitleid mit einem weinenden Kind gehabt habe, sagt er „Ja, dann stelle ich (durch Blicke, die sonst keiner bemerkt) eine Verbindung zu dem Kind her und schicke ihm Energie. Bedeutet: Zusammen schaffen wir das. Es ist toll, dass wir das zusammen erleben. Und das funktioniert.“ Dem jungen Schauspieler, der das mit seiner schönen Baritonstimme so voller Leidenschaft erzählt, glaubt man sofort.
Schlüsselerlebnis Livetheater
„Theater und Fernsehen – das ist das totale Gegenteil.“ Da sind sich Zell und Klose einig. Sehr deutlich werde das, wenn man an die Rocky Horror Picture Show denke, in der Menschen mitsingen, Reis werfen und überhaupt Sachen machen, die man „eigentlich“ im Theater nicht macht. Das Gruppenerlebnis ist riesig. Was „Live“ bedeutet, dieses Schlüsselerlebnis hatte Sabrina Klose schon als Kindergartenkind. Sie besuchte mit den anderen Mädchen und Jungen eine Vorstellung von „Der kleine Muck“. Darin nimmt der König bittere Medizin und spuckt diese reflexartig aus. Die erste Reihe der Kinder wurde von dem ausgespuckten Wasser, einem kühlen Sprühnebel, getroffen. „Da hat es bei mir „Klack“ gemacht“, sagt die Dramaturgin. Ohne dass sie es hätte benennen können, war es das Unmittelbare, was sie „gepackt“ hat und bis heute fasziniert.
Heute will sie als Dramaturgin dazu beitragen, dass junge Menschen vom Theater berührt und begeistert werden. „Für Kinder und Jugendliche musst du mit Leidenschaft inszenieren. Wenn sie sich langweilen, zeigen sie es und nehmen sich nicht vornehm zusammen, wie Erwachsene es tun. Sie lassen es dich spüren.
Das Westfälische Landestheater
Feste Spielorte: die Stadthalle und das WLT-Studio. Das Ensemble tritt auch viel in den Trägerstädten des WLT auf, u. a. Dorsten, Marl und Recklinghausen. Das Ensemble des Kinder- und Jugendtheaters spielt auch in Klassenzimmern und Kindergärten. Die Jugendstücke richten sich auch an Erwachsene.